Land, Besitz und Commons



© Gisela Erlacher



Olga Chernysheva (3)
The Song, 2021
Installation, 450 x 210 cm, Holz, Gravur

Zwischen dem Semmering und Triest fährt die Eisenbahn noch immer unweit von Duino nahe Triest, wo Rainer Maria Rilke sich 1912 aufhielt. Ausgangspunkt der Arbeit war ein kaum bekanntes Gedicht von Rilke auf Russisch verfasst. »Das Antlitz« (Nikolaustag, 1900) ist ein Liebes- und Abschiedsgedicht an Lou Andreas-Salomé. Es wurde nie offiziell übersetzt, blieb der deutschen Sprache bisher verborgen. Unterhalb des ikonischen Leseraumes des ehemaligen Kurhauses, in dem sich so manche Worte in die Gedanken eingeschrieben haben, befindet sich die Installation. »Das Antlitz« wird an dieser Stelle in cyrillischen Lettern zart in die hölzerne Oberfläche eingeritzt. Eingeschrieben, wie ein verborgenes Geheimnis, lässt es sich ertasten und von manchen verstehen. Rilke auf Russisch klingt anders. Kindlich geformte Worte, Bekanntes und Einfaches erzählen die Bilder. Ein poetischer Austausch der Silben und Worte zwischen den Muttersprachen, ein Changieren zwischen den Bedeutungen, den Verständnissen. Ob Rilke selbst jemals am Semmering war, das weiß keiner so genau, seine Worte sind es jetzt jedenfalls.

Olga Chernysheva, 1962 in Moskau geboren, lebt in Moskau. Studium an der Moskauer Filmakademie (BA) und an der Rijksakademie, Amsterdam (MA). Ihre Filme, Fotografien, Gemälde, Zeichnungen und Objekte sind lyrische Erkundungen von Individualität und Eigenständigkeit, aber auch Reflexionen über die Rolle der Künstler*innen in Zeiten des Umbruchs. Chernysheva interessiert sich vor allem für die Beziehung von Objekt und Subjekt, für die oft gespannte Koexistenz der Menschen mit den Räumen, die sie bewohnen. Ihre Arbeiten wurden in internationalen Galerien und Museen ausgestellt, darunter Museum of Modern Art, New York, Lunds Konsthall, Schweden; Moskau Biennale für zeitgenössische Kunst, Biennale des Museum Folkwang, Essen; Kunsthalle Hamburg, Solomon R Guggenheim Museum, New York.
www.olgachernysheva.ru