Land, Besitz und Commons
Ausstellungsprojekt im öffentlichen Raum von Semmering

Mit ortsspezifischen Arbeiten von Abdul Sharif Baruwa, Olga Chernysheva, Anna Daučíková, Zhanna Kadyrova, Elvedin Klačar, Mikhail Tolmachev, Milica Tomić, Inge Vavra, Hannes Zebedin und Videoarbeiten von Anca Benera/Arnold Estefan, Taus Makhacheva, Laure Prouvost und Titre Provisoire

kuratiert von Hedwig Saxenhuber

25. Juli bis 17. Oktober 2021

Die Arbeiten im Außenraum können jederzeit besichtig werden. Die Räume, in denen die Videos gezeigt werden, sind zwischen 10.00 und 18.00 geöffnet.

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Freitag, 27. August 2021
14.00 Uhr Kuratorinnenführung mit
Hedwig Saxenhuber und Kunstgespräch mit ausgewählten Künstler*innen des Projektes
Treffpunkt: ehemaliges Kurhaus, Grand Semmering

19.30 Uhr Open Air Bus Kino auf der Passhöhe
Gezeigt werden die Videoarbeiten und Filme der Ausstellung und Ausschnitte aus den INVENTOUR-Reportagen**
**Die INVENTOUR-Reporter*innen Rebecca Fuxen und Sophie Stadler erforschen den Semmering und arbeiten mit dem Medium Video. Eine erste Rohfassung ihres Materials zeigen sie an diesem Abend.

Samstag, 18. September 2021
14.00 Uhr Kuratorinnenführung mit
Hedwig Saxenhuber und Kunstgespräch mit ausgewählten Künstler*innen des Projektes
Treffpunkt: Rodelwiese (hinter dem Supermarkt)

Um Anmeldung wird gebeten unter publicart@noel.gv.at

Begrenzte Teilnehmer*innenzahl

Programmänderungen vorbehalten. Alle zu diesem Zeitpunkt geltenden Covid-19-Schutzmaßnahmen für Veranstaltungen kommen zur Anwendung.


In der beinahe 170-jährigen Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Semmering seit der Erschließung durch die berühmte Bahnstrecke lassen wirtschaftliches Wachstum und sozialer Wohlstand der Region sich in Pendelbewegungen verfolgen. Die Aktivitäten der Eisenbahngesellschaft und die damit einhergehende Erschließung der Alpenlandschaft als pittoresker Kulisse – oft von großbürgerlicher Freizeit-Kultur geprägt – die »Zähmung« der Natur und eine Ausweitung der Stadt in die Landschaft mit allen erdenklichen luxuriösen Annehmlichkeiten standen dabei am Beginn. Deren Niedergang als Folge der Kriege, der Shoah und der großen gesellschaftlichen und geopolitischen Umbrüche hat den Semmering verändert. Die Tourismuslandschaft ist in ihrer langjährigen Geschichte immer wieder mit den Konsequenzen der sozialen Transformation konfrontiert worden, an ihre Grenzen gestoßen und ihre Hochkonjunktur ist mitunter ins Gegenteil gekippt. Ein Ort, der ursprünglich von der Hocharistokratie, Industriellen und namhaften Intellektuellen vereinnahmt wurde und ihnen Zerstreuung bot, wurde im Zuge der Demokratisierung auch von einem breiten Spektrum an Tagesbesucher*innen genutzt. Neue Impulse setzte die Ernennung der Semmeringbahn zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Der Semmering ist eine mit Superlativen behaftete Landschaft und bedeutet für jede Besucherin, für jeden Besucher etwas anderes. Wesentlich ist auch, zu welchem Zeitpunkt auf den Semmering geschaut wird. Der Titel Land, Besitz und Commons für einen Ausstellungsparcours zeitgenössischer Kunst am Semmering mag im ersten Moment ebenso lapidar wie gesucht wirken. Doch er will die facettenreiche Geschichte des Semmering zunächst einmal beiseitelegen und stellt Fragen zur Bedeutung von »Land« heute – Land als einem Stück der Erdoberfläche, das sich auf lokale Naturen bezieht, auf die Besonderheiten eines Ortes. Er verweist auf die charakteristische Kombination von Fauna und Flora, Klima und geologischer Beschaffenheit und den Eingriffen des Menschen, die einer Landschaft ihr Gesicht verleihen. Unsere Gegenwart ist durch ein prekäres Verhältnis zur Natur geprägt, unsere Technologiegebundenheit erstickt romantische Vorstellungen, die zuhauf gegenwärtigen Bilder stellen sich vor sie. Wie geht man mit den direkt erfahrbaren Bildern von Natur, mit den »inszenierten Blicken« und dem »Überangebot an idealen Blickwinkeln« vor Ort um? Sind diese bizarren Fels- und Gebirgsformationen vom romantischen Sehnsuchtshorizont zu einem bloßen touristischen Marketinginstrument verkommen?

Was kann die bildende Kunst in einem so dichten kulturellen Geflecht an Geschichte und Gegenwart ausrichten? Das Sensorium der bildenden Kunst besteht im Schauen, Visualisieren, Recherchieren und Analysieren. Die Umsetzung der Erfahrungen führen zu Skulptur, Installation oder performativen Akt.

Die »Landschaft Semmering« ist längst in standardisierte Blicke eingeteilt, nichts ist dem Zufall überlassen, an einigen Stellen wird das Wachstum der Natur wegen der Veduten in Zaum gehalten, sie wird gerahmt und dem touristischen Blick übergeben. Der künstlerische Blick hält nun dagegen, transformiert sich in ein anderes Medium und versucht, den Natur- wie den Kultur- begriff auf eine aktuelle Ebene zu bringen, sucht die Dichotomie von Natur und Kultur hinter sich zu lassen und mit gegenwärtigen wissenschaftlichen Paradigmen zu arbeiten. Er öffnet, und das ist mehr als ein Gemeinplatz, eine andere Sicht auf die Welt, in der wir uns nicht länger als unabhängig von und im Gegensatz zu unserer Erde betrachten.

Mit dem Schlagwort »Besitz« wiederum soll auf die Unschärfe der Demografie am Semmering und deren Strukturprobleme verwiesen sein. Zu dieser Situation hat nicht nur die Abwanderung, sondern auch vor einigen Jahrzehnten der Verkauf von Teilen der Grandhotels und Villen für Apartments als Zweitwohnsitze beigetragen. Und »Commons« ist ein zukunftsweisender Begriff, der in vielen Zusammenhängen gebraucht wird, und der ein Allgemeingut meint, das nicht im Gut selbst liegt, sondern in der sozialen Konstruktion, die politisch entschieden wird. Er meint einen Aufruf, autonome Räume zu schaffen, die abseits der kapitalistischen Struktur bestehen, um »die Welt wieder zu verzaubern«.

Zurück zum Semmering: Was könnte so eine Verzauberung bedeuten? Der Weg dazu, den die Künstler*innen vorschlagen, ist Aneignung, Erkundung, Selbstbetrachtung, Präsenz und Dasein, durchaus auch im weiteren politischen Sinn. Er zielt auch auf spielerische Beschäftigung zur Auflockerung festgefahrener Sichtweisen. Die Wege am Semmering – viele parallel geführt, durchlässig über verschiedene Grundstücke – bilden ein robustes dichtes Netz, führen zu besonderen Ausblicken, nehmen manchmal auch das kleine Unbedeutende vom Rande mit. Man wäre fast verführt zu sagen, die Wege am Semmering sind ein »Common«, sie lassen zwischen den Kunstwerken die direkte Erfahrung des Semmering als Landschaft der Gegenwart lebhaft spüren. Sie sind das zweite Thema dieses Parcours. Und es ist diese Verknüpfung von menschlichen und nichtmenschlichen Sphären, welchen sich die Arbeiten der eingeladenen Künstler*innen widmen, die sich vor Ort mit der Situation des Semmering auf unterschiedliche Weise auseinandersetzen.

Hedwig Saxenhuber, freie Kuratorin und Mitherausgeberin der springerin Hefte für Gegenwartskunst.

Werkbeschreibungen: Ada Karlbauer