100 JAHRE FRAUENWAHLRECHT
Ein Plakat- und Videoprojekt
mit Beiträgen von Susi Jirkuff,
Jakob Lena Knebl, Isa Rosenberger und
Susanne Schuda

Oktober bis Dezember 2018


Postkarte zum Frauenwahlrecht aus dem Jahr 1913 von Marianne Saxl, aus: Adelheid Popp, Der Weg zur Höhe, die sozialdemokratische Frauenbewegung Österreichs, ihr Aufbau, ihre Entwicklung und ihr Aufstieg, Frauenzentralkomitee der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs, Wien 1929, S. 131. © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv


​GESCHICHTE, DIE ALLE BEWEGT

„Wir streben nicht blindlings das Wahlrecht an, sondern in klarer Erkenntnis, daß das Wahlrecht Macht ist ...“
( Marianne Hainisch, Festschrift des Österreichischen Frauenstimmrechtskomitees, Wien 1913 )

2018 ist ein überaus wichtiges Gedenkjahr für zahlreiche historische Ereignisse, die die Geschicke Österreichs und Europas maßgeblich geprägt haben: Neben der Gründung der Ersten Republik 1918 wird der Revolution von 1848, des „Anschlusses“ an Nazi-Deutschland 1938 und der StudentInnenrevolten von 1968 gedacht und dies zum Anlass genommen, unsere Gedächtnis- und Erinnerungskultur neu zu verhandeln. Gerade deshalb gilt es, einem weiteren demokratiepolitisch relevanten Jubiläum die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu schenken: der Einführung des Frauenwahlrechts 1918 in Österreich. An und für sich stellt dieses Ereignis keinen blinden Fleck dar, wurde seine Geschichte doch intensiv beforscht und vollständig aufgearbeitet. Trotzdem scheinen die erste Frauenbewegung und ihre Relevanz für unsere Gesellschaft zu wenig in unserem kollektiven Gedächtnis verankert zu sein, denn das Thema findet in der breiten Öffentlichkeit kaum Resonanz. Das hat die Abteilung Kunst und Kultur/Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich – initiiert vom Frauenreferat des Landes Niederösterreich – zum Anlass genommen, diesen Meilenstein unserer Geschichte zu würdigen und ein mehrteiliges temporäres Projekt für den öffentlichen Raum zu entwickeln. 100 Jahre Frauenwahlrecht und die Geschichte der Frauenwahlrechtsbewegung sollten mit den Mitteln der Kunst einer breiteren Öffentlichkeit ins Bewusstsein gerufen werden. Eine Fachjury lud die Künstlerinnen Jakob Lena Knebl, Isa Rosenberger und Susanne Schuda ein, Plakate zu entwerfen, und bat die Künstlerin Susi Jirkuff, einen Animationsfilm zu gestalten.

Ein langer Kampf
Am 12. November 1918 wurde das „allgemeine, gleiche, direkte und geheime Stimmrecht für alle Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts“ erlassen, womit es Frauen am 16. Februar 1919 erstmals möglich war, gleichberechtigt mit Männern an der Wahl zur Nationalversammlung teilzunehmen und auch selbst gewählt zu werden. Schließlich zogen acht Frauen in die Nationalversammlung ein. Die endgültige Durchsetzung des Frauenstimmrechts hängt zwar auch mit den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen infolge des Ersten Weltkrieges, des Zusammenbruchs der k. u. k. Monarchie und der Republiksgründung zusammen, ist aber in erster Linie das Resultat verschiedener proletarischer und bürgerlich-liberaler Bewegungen, die sich (weltweit) für die politische Partizipation der Frauen eingesetzt und diese schließlich erkämpft haben.

In Österreich hatten diese Anstrengungen ihren Ursprung in der Märzrevolution von 1848, als Frauen erstmals für gleiche Löhne für gleiche Arbeit demonstrierten und einige von ihnen dabei sogar ihr Leben verloren. Die Niederschlagung der Revolution und die Installation eines neoabsolutistischen Systems waren nicht nur aus demokratiepolitischer Sicht ein verheerender Rückschlag, sondern auch für die Frauen und ihr Bestreben nach gleichen Rechten. Sie wurden noch stärker aus dem öffentlichen Leben verdrängt, als es vorher der Fall war. Aber auch um die Jahrhundertwende galten Frauen immer noch als BürgerInnen zweiter Klasse, waren sie doch wirtschaftlich und politisch unmündig und völlig von ihren Familien bzw. ihren Männern abhängig.


Die ersten weiblichen Abgeordneten im Parlament 1919 (v.l.n.r). Erste Reihe: Adelheid Popp, Anna Boschek, zweite Reihe: Gabriele Proft, Therese Schlesinger, dritte Reihe: Maria Tusch, Amelie Seidel. © ÖNB/Wien Bildarchiv 118.074C
In dem Bewusstsein, dass politische Mitbestimmung ein Privileg der Besitzenden und Gebildeten war, konzentrierten sich die Bestrebungen der österreichischen Frauenwahlrechtsbewegung gezielt auf die Verbesserung der Bildung von Frauen. Sie waren nicht nur von politischen Aktivitäten und der Teilnahme am Vereinswesen weitgehend ausgeschlossen, sondern auch von jeglicher Form von höherer Bildung und hatten keinen Zugang zu Hochschulen und Universitäten. Auf Initiative von Marianne Hainisch, die eine zentrale Figur der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung war und 1901 den Bund der Österreichischen Frauenvereine gründete, erfolgte 1892 die Gründung des ersten Mädchengymnasiums.

Erst nach der Jahrhundertwende veränderte sich die vorherrschende Situation langsam, und die Diskussion rund um das Frauenwahlrecht war in der Öffentlichkeit angekommen – nicht zuletzt dank der unzähligen Initiativen, Petitionen, Resolutionen und Kundgebungen des 1905 gegründeten unparteiischen Frauenstimmrechtskomitees in Wien, Prag und Brünn. Die mit der Ausrufung der Ersten Republik 1918 beschlossene Einführung des Frauenwahlrechts beendete nicht nur den Ausschluss der Frauen von politischen Entscheidungen, sondern trug einer gesellschaftspolitischen Realität Rechnung, die infolge des Ersten Weltkrieges sichtbarer geworden war: Frauen waren immer schon Teil des öffentlichen und sozialen Lebens gewesen und trugen einen erheblichen Teil zur Wirtschaftsleistung des Landes bei.

Was uns noch zu tun bleibt
Heute sehen wir die Rechte von Frauen als selbstverständlich an, aber die Einführung des Frauenwahlrechts war nur ein erster von vielen gesellschaftlichen und politischen Schritten, die die Gleichberechtigung der Geschlechter sicherstellen sollten. Selbst heute, 100 Jahre später, sind die strukturelle Benachteiligung von Frauen und männliche Machtstrukturen immer noch vorhanden und ist die Chancengleichheit für Frauen und Männer keineswegs sichergestellt. Es bedarf noch vieler gemeinschaftlicher Anstrengungen, bis alle Forderungen der WahlrechtsaktivistInnen von damals erfüllt sind: Denken wir an die erhebliche Einkommensschere, die Kinderbetreuung sowie die Pflege von Angehörigen, die immer noch mehrheitlich von Frauen geleistet werden, oder den offenen Sexismus, dem Frauen sich immer noch ausgesetzt sehen. Auch haben nach wie vor deutlich weniger Frauen als Männer ein politisches Amt inne. Es ist eine simple Tatsache, dass der österreichische Parlamentarismus auch 2018 von Männern dominiert wird. Der Anteil der Frauen im Parlament liegt bei nur ca. 34 Prozent, lediglich 7,6 Prozent der Gemeinden werden von einer Bürgermeisterin geleitet, und Niederösterreich ist erst das dritte Bundesland mit einer Landeshauptfrau an der Spitze.

Wider die Geschichtsvergessenheit
Die vier Künstlerinnen Susi Jirkuff, Jakob Lena Knebl, Isa Rosenberger und Susanne Schuda haben unterschiedliche Zugänge gewählt, um die historische Entwicklung und zeitgenössische Aspekte der politischen Partizipation von Frauen zusammenzuführen. Dabei fungiert der öffentliche und digitale Raum als Projektionsfläche und Multiplikator für die von den Künstlerinnen konzipierten Sujets und Filme. Ziel dieses Projekts ist es, eine möglichst große Sichtbarkeit zu erreichen und eine andauernde Auseinandersetzung mit dem Thema anzustoßen. So fordern uns die künstlerischen Beiträge auf, genauer hinzusehen, kritische Fragen zu stellen und uns aktiv an der Wechselbeziehung zwischen Privatem und Politischem, der persönlichen Sphäre und der vorgegebenen Wirklichkeit der Gesellschaft zu beteiligen. Im Dialog mit dem Publikum hat Kunst das Potenzial, eine Form von Öffentlichkeit zu schaffen, in der auch komplexere historische Zusammenhänge vermittelt und mit unserer Gegenwart in Beziehung gebracht werden können.

Darüber hinaus ist es ein großes Anliegen dieses Projekts, vor allem junge Menschen zu erreichen, um ihr Bewusstsein für die Pionierleistungen von Frauen zu stärken, diese fester im kollektiven Gedächtnis zu verankern und so einer um sich greifenden Geschichtsvergessenheit entgegenzuwirken. Gerade weil die #MeToo-Debatte den Blick geschärft hat, gilt es, Probleme offen anzusprechen und die jüngere Generation weiter dafür zu sensibilisieren. Deshalb wird die vorliegende Broschüre, die das Projekt begleitet, nicht nur in diversen Institutionen, sondern vor allem an Schulen zur freien Entnahme angeboten. Weiters wurden von den Künstlerinnen Workshops für SchülerInnen der Oberstufe und KunsterzieherInnen entwickelt, die das Thema anhand eigener Formate vertiefen und so einen direkten Dialog anregen. Die entstandenen Plakatsujets werden im Zeitraum Oktober bis Dezember in Niederösterreich affichiert sein, und das Videoprojekt wird online zugänglich sein.
(Georgia Holz)


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