Wohin verschwinden die Grenzen / Kam Mizí Hranice?
Franz Kapfer
Arabesken, Fotografien auf Dibond, Istanbul, 2014, Courtesy the artist
Franz Kapfer zeigte eine Fotoserie von Zaun­ und Maueroberkanten, die 2014 in Istanbul entstanden ist. Unter dem Gesichtspunkt der Arabeske und des Ornaments winden sich Linien und Punkte in sich überschneidenden Kreisen im starken Gegenlicht des Himmels im Hintergrund. Der Bandstacheldraht – umgangssprachlich „NATO­Draht“ – wird, um seine volle Effektivität und Wehrhaftigkeit zu entfalten, in speziellen Formationen verlegt. Statt der eingewickelten Drähte mit scharfkantigen Spitzen besteht er aus einem dünnen Blechband, in das scharfe Klingen eingestanzt sind. Der „NATO­Draht“ wird seit den 1960er-Jahren verwendet und hat mittlerweile in einigen Bereichen den normalen Stacheldraht abgelöst. Er wird in der Regel für militärische oder hoheitliche Zwecke als Umzäunung und Grenzsicherung eingesetzt.

Abbé J. Libansky
Grenzen im Kopf, 250 Beneš­Köpfe gegen den Populismus. Gips, Eisen, Glas, 2002/2014, Courtesy the artist
Als im Jahre 2001 im Rahmen der Verhandlungen über den Beitritt Tschechiens zur EU das Thema der sogenannten „Beneš­Dekrete“ aktuell wurde, stellte Abbé J. Libansky zwischen Fratres und Slavonice direkt an der österreichisch­tschechischen Grenzlinie 250 Büsten des Präsidenten Edvard Beneš auf. Er lud dazu Vertreter_innen aller politischen Parteien aus beiden Ländern ein, über dieses nicht abgeschlossene traurige Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte direkt hier an der Grenze miteinander zu reden. Damals ist niemand gekommen. Mittlerweile ist der Grenzzaun verschwunden, aber dieses Thema ist eines von vielen, das weiterhin in unseren Köpfen die Grenzen bestehen lässt. Die Beneš­Köpfe von damals sind verstaubt, aber noch immer vorhanden.

Zbigniew Libera
History Lesson, Fotografie auf Dibond, 140 × 349 cm, 2012, Courtesy of Zbigniew Libera and RASTER Gallery, Warsaw
Libera spielt in seinen Arbeiten oft mit (visuellen) Assoziationen und Erinnerungen seiner BetrachterInnen. „History Lesson“, ein Teil der mehrteiligen Arbeit „New Histories“, projiziert Ängste, Unschlüssigkeiten, Albträume in einen nicht näher definierten Zeit­Raum. Drei Pferde mit Reitern sind vor einem leer stehenden, halb zerstörten Wohnbau zu sehen. Das Format des Bildes ist stark horizontal. Sind die Reiter Anarchisten, Punks, Outlaws, Mitglieder einer Privatarmee? Wir empfinden das Bild als urbane Dystopie, eine verwüstete Welt nach einer Katastrophe oder einem Krieg, eine Welt, in der nichts so ist, wie es sein sollte. Wichtig für die Lesbarkeit der Fotografie ist der Ort, an dem sie gemacht wurde: Borne Sulinowo (deutsch: Groß Born) ist eine Stadt mit 4.500 Einwohner_innen in Polen. Am Bahnhof Groß Born entstand eine Militärsiedlung, die in den 1930er-Jahren stark erweitert wurde und im Dritten Reich den Namen Westfalenhof erhielt. 1943 wurde sie zum Garnisonsstandort der Wehrmacht. Von 1939 bis zum Kriegsende bestand in Groß Born ein Kriegsgefangenenlager. Borne Sulinowo war nach 1945 der Sitz einer Garnison der Roten Armee, deren Verwaltung es unterstand. Bis 1993 lebten hier fünfzehntausend Soldaten. Nach dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte wurde die Siedlung 1993 geplündert und zerstört.

Heidi Schatzl
THEY MAY HAVE STOLE OUR BANNER BUT THEY WILL NEVER STEAL OUR CULTURE, Belfast, Fotografien auf Dibond, 2013, Courtesy the artist
Die Stadtstruktur des nordirischen Belfast ist aus politisch gegensätzlichen Standpunkten gebaut. Außerhalb des Zentrums sind es haushohe Wandmalereien, die Positionen der politisch geteilten Bevölkerung zum Ausdruck verhelfen, denn in Belfast ist ein Haus nur innen zum Wohnen, nach außen ist es Träger einer politischen Botschaft, die sich über die ganze Fassade erstreckt. Weithin sichtbar steckt die Wandmalerei Territorien ab. Der Charakter der Murals ist divergent, sie sind Drohung, Richtigstellung, Mahnmal, Erinnerung, existenzielle Aussage. Allein schon deswegen, weil es überhaupt möglich ist, gegensätzliche Aussagen im Stadtraum dauerhaft anzubringen und damit breite Diskussionen auszulösen, haben sie das Potenzial zur Versöhnung.

How to draw a line? Jerusalem, Hebron, Fotografie auf Dibond, 2014, Courtesy the artist
In den Fotos von Jerusalem und Hebron wird ein Urbanismus gegensätzlicher Politik sichtbar. In beiden Städten verläuft die Grenze zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten durch Straßenzeilen, die weit älter sind als der Osloer Friedensvertrag von 1994, durch den die erstmalige Grenzziehung einer beabsichtigten Zweistaatenlösung festgelegt wurde. Das Grab von Abraham in Hebron, die Höhle Machpela, ein zentraler Ort beider Religionen, ist zur einen Hälfte Synagoge, zur anderen Moschee. Nur dasselbe Wandfries durchzieht beide Staaten. Es kommt auch vor, dass ein Haus im arabischen Gebiet steht, das Dachgeschoß aber israelisch besetzt ist und die Terrasse mit Containern und Plastiksesseln zu einer Kontrollstation umgewandelt wurde. Nicht nur, dass die Staatsgrenzen durch ein Haus gehen, ihr Charakter ist auch noch temporär: Palästinensische Märkte sind mit Übergängen verbaut, die, in Blech ausgeführt, einen ebenso mobilen Charakter aufweisen. In diesen Städten scheint es, als sei eine Grenze oftmals blutig umkämpft, aber auch jung, veränderbar und nicht endgültig.

Johanna Tinzl & Stefan Flunger
Framing the Fringe/Die Rahmung des Randes, Fotoserie (15­teilig) auf Dibond, 2013–2014, Courtesy the artists
Die Fotoserie „Framing the Fringe“ („Die Rahmung des Randes“) entstand während einer Autoreise entlang der Ostgrenze der Europäischen Union. Das Zentrum jeder fotografischen Aufnahme bildet ein konventionelles Navigationsgerät. Es zeigt, dass jedes Foto direkt vor der jeweiligen Außengrenze aufgenommen wurde. Die Landschaft um die Grenzlinie bildet den Hintergrund. Der Umfang der jeweiligen Rahmung der Bilder entspricht der Länge der EU­Außengrenzen der Länder, in denen die Fotos entstanden, somit den Längen der Grenzen zwischen Estland und Russland, Litauen und Kaliningard, Polen und Kaliningrad, Litauen und Belarus, Lettland und Russland, Lettland und Belarus, Polen und Belarus, Polen und der Ukraine, Rumänien und der Ukraine, Rumänien und Moldawien, Ungarn und der Ukraine, der Slowakei und der Ukraine, Bulgarien und der Türkei, Griechenland und der Türkei sowie der De­facto­Grenze auf Zypern.