Ausstellung, Museum ERLAUF ERINNERT, 2017, Foto © Woessner
Ausstellung, Museum ERLAUF ERINNERT, 2017, Foto © Woessner
Ausstellung, Museum ERLAUF ERINNERT, 2017, Foto © Woessner
Ausstellung, Museum ERLAUF ERINNERT, 2017, Foto © Woessner
Ausstellung, Museum ERLAUF ERINNERT, Foto © Woessner
Ausstellung, Museum ERLAUF ERINNERT, Foto © Woessner
Ausstellung, Museum ERLAUF ERINNERT, 2017 Foto © Woessner
Ausstellung, Museum ERLAUF ERINNERT, 2017 Foto © Woessner
„Dear Ernst F. Brod, – eine Antwort“, Museum ERLAUF ERINNERt, 2018, Foto: Wolfgang Woessner
„Dear Ernst F. Brod, – eine Antwort“, Museum ERLAUF ERINNERt, 2018, Foto: Wolfgang Woessner
„Dear Ernst F. Brod, – eine Antwort“, Museum ERLAUF ERINNERt, 2017, Foto: Wolfgang Woessner
„Dear Ernst F. Brod, – eine Antwort“, Museum ERLAUF ERINNERt, 2017, Foto: Wolfgang Woessner
„Dear Ernst F. Brod, – eine Antwort“, Museum ERLAUF ERINNERt, 2018, Foto: Wolfgang Woessner
„Dear Ernst F. Brod, – eine Antwort“, Museum ERLAUF ERINNERt, 2018, Foto: Wolfgang Woessner
„Dear Ernst F. Brod, – eine Antwort“, Museum ERLAUF ERINNERt, 2018, Foto: Wolfgang Woessner
„Dear Ernst F. Brod, – eine Antwort“, Museum ERLAUF ERINNERt, 2018, Foto: Wolfgang Woessner
Manuskripte, Buchcover, 2017
Manuskripte, Buchcover, 2017
Erinnerungsspeicher, Gemeindeamt Erlauf, 2019, Foto: Heidi Schatzl
Erinnerungsspeicher, Gemeindeamt Erlauf, 2019, Foto: Heidi Schatzl
Erinnerungsspeicher, Gemeindeamt Erlauf, 2019, Foto: Heidi Schatzl
Erinnerungsspeicher, Gemeindeamt Erlauf, 2019, Foto: Heidi Schatzl
 

heidi schatzl


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Heidi Schatzl, Erinnerungsspeicher, The Examined Life / Das geprüfte Leben. Ernst F. Brod (1901–1978)



Mit der Rauminstallation The Examined Life / Das geprüfte Leben brachte Heidi Schatzl 2017 die unveröffentlichte Autobiografie des 1934 vor dem austrofaschistischen Regime geflüchteten Erlaufers Ernst F. Brod (1901–1978) als temporäres Wandrelief in das Museum ERLAUF ERINNERT, von wo die Installation 2019 in das Erlaufer Gemeindeamt als permanenter „Erinnerungsspeicher“ überführt wurde.

I.
Die Familie Brod war jüdisch. Sie besaß im bäuerlichen Erlauf (bei Pöchlarn) ein „Warenhaus“. Schon als Student in Wien beobachtete Ernst F. Brod aufmerksam die politischen Entwicklungen in Österreich. Nachdem er als Sozialdemokrat im 1934 konstituierten „Ständestaat“ nicht mehr sicher war, floh er (zu Fuß) nach Paris. Anfang 1938 reiste Brod in die Türkei, wo er eine Stelle beim Eisenbahnbau im anatolischen Hinterland annahm. Seine Mutter und sein Bruder blieben zurück, wurden enteignet, deportiert und ermordet. Als der jungen Familie Brod 1947 die Rückkehr aus der Türkei vom österreichischen Botschafter in Istanbul verwehrt wurde (Brods tschechische Ehefrau und seine Kinder besaßen nicht die österreichische Staatsbürgerschaft), emigrierte sie in die USA. Trotz allem begleiteten Brod in der Emigration Sehnsüchte nach seinem Heimatort, in den er nie wieder zurückkehren würde. Über alles sollte er schweigen und nur von der Schönheit Österreichs erzählen. Erst in seinen letzten zehn Lebensjahren begann Brod, seine Lebensgeschichte als Vermächtnis für seine Kinder schreibend zu verarbeiten, und bettete sie in die historischen Ereignisse seiner Zeit ein. In dem 2000 Seiten umfassenden Manuskript[1] zeichnet er das Bild einer „verrohenden Gesellschaft“ (Heidi Schatzl) vor dem Hintergrund politischer Umbrüche bis 1948. Immer wieder kommt er auf Erlauf und seine Bewohner*innen zurück: Brod berichtet vom bäuerlichen Leben, dem Schicksal seiner Familie in der Shoa, aber auch von der Solidarität und Hilfe, die er erfuhr. Zum einen versucht er, „Österreichs Weg in die Gesetzlosigkeit“ (Ernst F. Brod) zu analysieren, zum anderen quält ihn die Frage, warum er seine Familie nicht zur Emigration bewegen konnte.

II.
Heidi Schatzl arbeitet in ihrer Installation Brods ambivalentes Verhältnis zu seiner Heimat wie auch sein Abwägen der „kleinen“ autobiografischen Zusammenhänge gegenüber den „großen“ historischen heraus und konstruiert aus seiner Lebensgeschichte einen „Erinnerungsspeicher“, der die Geschichte des Nationalsozialismus anhand von Nebenschauplätzen erzählt. Ausgewählte Textpassagen aus dem Manuskript und Bildmaterial aus privaten Fotoalben wie Archiven setzt sie mosaikartig zu einem raumumspannenden Wandrelief zusammen. Man betritt ein quasi ausgelagertes kollektives Gedächtnis des Ortes, ein Gerüst aus rohen Holzlatten, in das Textseiten und Bilder integriert sind. Während der Blick über die leicht unregelmäßigen Buchstaben der alten Schreibmaschinenschrift gleitet, beginnt man, den Umfang der Aufzeichnungen zu erahnen. Durch die zwei Fenster sieht man auf das ehemalige Gasthaus Teufl, wo Ernst F. Brods Bruder Georg 1938 so lange eingesperrt wurde, bis er sich der „Arisierung“ seines Geschäfts beugte. Auf vier frei stehenden Bildsäulen verdichtet sich Brods politisches Denken: Da geht es etwa um das „Ende der Gleichheit vor dem Gesetz“, das für Brod bereits mit dem Justizpalastbrand 1927 begann, um die Etablierung des Faschismus in Österreich 1934 oder um Brods Einbindung in den Aufbau der Moderne als Ingenieur beim Bau des von Clemens Holzmeister geplanten Parlaments in Ankara.

III.
Nach dem Krieg, als die Überlebenden der jüdischen Familien nicht zurückkamen, habe Erlauf sein „Gedächtnis verloren“, schreibt Brod. Heidi Schatzl knüpft bei diesen verschütteten Erinnerungen an. Sie recherchiert, ordnet und kontextualisiert. Der „Erinnerungsspeicher“ wird inhaltlich wie formal zu einem Grundgerüst, von dem aus die Künstlerin weiter agiert. Gemeinsam mit einer Kunstvermittlerin[2] entwickelt sie unter dem Projekttitel Dear Ernst F. Brod, eine Antwort ... 2018 Workshops für Schüler*innen. Ein Jahr lang verfassen diese zu Textstellen Brods Objekte und Briefe, die in die Ausstellung eingearbeitet werden. Schatzl spricht mit den noch lebenden Zeitzeugen oder deren Nachfahren und veranstaltet Gesprächsabende im Museum. Die individuellen Erzählungen vernetzt sie zu einer Art Chronik, die von auf falschen oder fehlenden Informationen beruhenden Mythen bereinigt ist. Allgemein verbindliche Bilder zu liefern ist nicht ihr Anspruch. Vielmehr überprüft die Künstlerin die Strukturen von individuellen und kollektiven Narrationen: in Bezug auf ihre Selektivität im Vorgang des Erinnerns und Vergessens und in Bezug auf den Übergang von dem einen zum anderen. Schatzl agiert vor dem Hintergrund eines veränderten Begriffs von Denk- und Mahnmalen, der von kollektiven Ritualorten des zeitgenössischen Totenkults zu transformativen sozialen Prozessen übergegangen ist. Als Konsequenz dieser begrifflichen Veränderung ist die hierarchisch geprägte Formgebung einer sinnstiftenden Memorialpraxis gewichen, die mit einer kritischen Reflexion arbeitet und durch das Auslösen gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse aktiv in Erinnerungslandschaften eingreift. Die Narration setzt Heidi Schatzl als ursprünglichste Form des Denkmals ein. „Erzählte Erinnerung“, sagt sie, „verändert sowohl die Identität der Erzähler*innen wie die der Zuhörer*innen.“

In dem Künstler*innenbuch Die Manuskripte des Ernst F. Brod hat Heidi Schatzl in 16 Heften Auszüge aus den Manuskripten von Ernst F. Brod mit wissenschaftlichen Beiträgen und einem Gespräch mit Brods Tochter in einer Art Archivbox zusammengebracht. Dazu gibt das Buch Einblick in private Fotoalben wie Archive und enthält eine musikalische Interpretation von Brods Lebensgeschichte durch das Roman Britschgi Quartett auf CD.

(Cornelia Offergeld)

[1] Der Titel des Manuskripts The Examined Life / Das geprüfte Leben stammt von Brods Sohn John. In Anlehnung an den griechischen Philosophen Sokrates, der ein „ungeprüftes Leben“ als „nicht lebenswert“ bezeichnete, verweist er auf die unermüdliche Auseinandersetzung seines Vaters mit der Wahrheit.
[2] Projekt von Heidi Schatzl und der Kulturvermittlerin Maria Theresia Moritz mit Schüler*innen des Stiftsgymnasiums Melk mit Unterstützung durch ihre Lehrer*innen Angela Stadlmann (Geschichte), Michael Grill (Bildnerische Erziehung) und Silvia Zeller (Deutsch).



„Dear Ernst F. Brod, – eine Antwort“

Ein Projekt der 6C des Stiftsgymnasiums Melk von Heidi Schatzl und der Kulturvermittlerin Maria Theresia Moritz in Kooperation mit den
Lehrenden Angela Stadlmann, Michael Grill und Silvia Zeller.


Klasse 6C:
Johanna Schaffarczik, Silvia Schraivogel und Sophia Cerny, Lea Hochholdinger und Marlene Fuchs, Anna Steinkellner und Jasmina Seyer,
Marie Grabmann, Naomi Hinkelmann, Anna Weigl und Barbara Engelskirchner, Katja Reichör und Selina Enengl, Hannah Kloimüller und Paula Fischer, Nina Maier und Tessa Stix,
Tobias Apfelbeck, Florian Bischof, Lukas Gruber, Sarah Romako und Magdalena Eckl, Katharina Falk, Anna-Lena Kerndler, Sophie Fischer.


Heidi Schatzl, „Die Manuskripte des Ernst F. Brod“
Das Künstlerinnenbuch von Heidi Schatzl enthält in einer Serie von 15 Heften eine Auswahl der Manuskripte von Ernst F. Brod (1901–1978) und gibt Einblick in private Fotoalben und Archive. Dem Buch in Form einer Archivbox beigelegt sind eine Broschüre mit wissenschaftlichen Beiträgen, darunter ein Gespräch mit Ernst F. Brods Tochter, sowie die musikalische Interpretation von Brods Lebensgeschichte durch das Roman Britschgi Quartett auf CD.



Das Projekt ist dokumentiert im Archiv der Kunst im Museum ERLAUF ERINNERT.