barbara kraus, gemischte gefühle<br />
barbara kraus, gemischte gefühle<br />
barbara kraus, gemischte gefühle<br />
barbara kraus, gemischte gefühle<br />
 

barbara kraus


<

gemischte gefühle



Reinsberg war, wie schon 1999 mit "Gemeinsame Sache", Ausgangs- und Produktionsort für das Projekt "Gemischte Gefühle". Fünf KünstlerInnen ließen sich über einen längeren Zeitraum im Dorf nieder und befassten sich mit lokalen Ereignissen, Geschichte(n), mit Menschen und Institutionen, dem öffentlichen Leben, sozialen Konfliktlinien und touristischen Selbstdarstellungsstrategien des Ortes. Der eigentliche Effekt von "Gemischte Gefühle" steckte zwischen den Zeilen. Initiiert von dem Autospengler und unermüdlichen Betreiber der kulturellen Aktivitäten im Dorf, Karl Prüller (die experimentelle Burgruine und deren Bespielung und die Betreibung der Biogastronomie ebendort ist ebenfalls seinen Initiativen zuzuschreiben), waren die gesamten Vorbereitungen und Realisationen Teil einer intensiven oben erwähnten diskursiven Operation. Eine Gruppe von KünstlerInnen zusammenzustellen, die Interesse an ortsspezifischer Kleinarbeit fanden, sich in eine interne und externe Diskussion einließen, den Schritt in ein auf dem ersten Blick verschlossenes Dorf machten, ebenda recherchiert, war speziell im Projekt Reinsberg 2001 eine permanente Gratwanderung. Verschlossenheit und Offenheit, Interesse, Diskussion und Verdeckung, offene und geschlossene Türen wechselten sich permanent ab. Durch die Nähe der Recherche und der Arbeiten am Leben im Dorf und auch aufgrund des Interesses eines Teils der KünstlerInnen, konkrete Geschichte(n) des Dorfes aufzugreifen, ergab sich die Möglichkeit von "wirklicher" Auseinandersetzung, die sonst in der Kunst nicht oft stattfindet. Eine Distanzierung vom Feld, eine Integrierung in ein geschlossenes Kunstsystem war in Reinsberg nicht möglich. Der Kreis der aufgenommenen Geschichte(n), der Beteiligten und der RezipientInnen war zu eng, um zu entkommen. So ergab sich z.B. in der Vorarbeit von Ricarda Denzer und Barbara Kraus über die Geschichte(n) der Hofmühle eine Diskussion mit einer Familie, dem Bürgermeister, Herrn Prüller, über die Grenzen der Einbeziehung von biografischen Details in die künstlerischen Arbeiten. Konflikte traten auf, die Weiterarbeit wurde kurzfristig untersagt, in mehreren Gesprächen wurde dann aber durchaus die Wichtigkeit verstanden, die die Einbeziehung einer solchen Einzelbiografie für das Erkennen von kollektiven Prozessen hat. Das Interesse an der Lebensgeschichte und der Behandlung einer Außenseiterin im Dorf wurde plötzlich nicht mehr als voyeuristischer Akt, sondern als Aufarbeitung einer gemeinsamen Geschichte begriffen, die über den privaten, familiären Zusammenhang hinauswies. Die Situation, dass viele KünstlerInnen aus ähnlichen Dorf- bzw. Kleinstadtsituationen kamen, eröffnete eine zusätzliche Dimension. Die Beschäftigung mit Eigengeschichte(n), Erinnerungen, vermischte sich mit der Beschäftigung mit dem Dorf. Der Titel des Projektes stand programmatisch für das Projekt, seine Verfahren und seinen Verlauf; für die "Gemischten Gefühle", die auf allen Seiten aufkommen, wenn sogenannte "Fremde" in ein Dorf kommen. Das "Gemischte Gefühl", heimisch zu sein, Vertrautheit, Überschaubarkeit zu erfahren, aber auch Gegenteile davon – draußen zu stehen, schief angeschaut zu werden, zu Gemeinschaften keinen Zugang zu haben etc. -, steht dem "Gemischten Gefühl", als Künstler, interessierte junge Menschen, Eindringlinge, Fremde, Wiener (Städter) oder linke Protestierer gesehen zu werden, gegenüber. Das von den KünstlerInnen neu adaptierte ehemalige Kaufhaus Gruber im Zentrum neben der Kirche war ein kommunikativer Knotenpunkt des Projekts. Zusätzlich bildete die Hofmühle, ein historisches Haus mit viel Geschichte(n), einen zentralen Ort.

Auch die Performance "Schneckenfalle" von Barbara Kraus hatte ihren Ursprung in der Geschichte rund um die Hofmühle. Die Diskussionen um die Hofmühle im Vorfeld, brachten sie aber davon ab, direkt mit dem recherchierten Material eine Frauenfigur zu kreieren, wie ursprünglich geplant. Sie erfand für ihre Performance ein hybrides Schneckenwesen als Metapher für die Ambivalenz von Begehren. "Dem Bedürfnis nach trockenen, geordneten, eindeutig definierten und überschaubaren Verhältnissen steht die Anziehung und Faszination für feuchte, schleimig-schlüpfrige, dunkle Löcher gegenüber." (Barbara Kraus) Die Figur war schon Tage vor ihrem Auftritt in Wien unterwegs, hielt sich schon vor der Eröffnung in Reinsberg auf, besuchte die Reinsberger Nächte, ein Dorffest, das parallel stattfand, und trat bei Einbruch der Dunkelheit, vorher auf einem Fernseher von einer Fernsehmoderatorin angekündigt, vor das Publikum. Mit spitzen Schreien und sexuell konnotierten Gesten schuf sie sich Platz, trat an ein Rednerpult und predigte, umgeben von üppigem Salat. Im Text, der sich an die Sprache von antiquierten Drohpredigten anlehnte, ging es um "die Angst der Kirche vor den Frauen". In einem zweiten Teil der Performance zog sich die Schnecke in ein Laubhaus zurück, schlüpfte aus ihrer Rolle und verlas Texte und Protokolle über Frauenbehandlung durch Inquisition und Hexenverfolgung. Der Dorfkirchplatz war Aufführungsort, was sicher ein Mitgrund für die heftige Diskussion und Reaktion der Reinsberger Bevölkerung während und nach dem Auftritt war. Nicht mehr über das Projekt, die Arbeiten oder die Form und Aussage der Performance wurde danach diskutiert, sondern allein über das gewagte Kostüm, die sexuelle Konnotation der Bewegungen und über Kirchenangriffe. Um den Prozeß der Annäherung innerhalb des dörflichen Kontextes und die Fragestellungen, Konfliktlinien und Transformationen, die sich dabei ergaben, zu verdeutlichen, hat Barbara Kraus ein kleines Bild/Textbuch mit dem Titel "feucht" produziert.