john silvis, fremd
 

john silvis


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Der Verein MEZ veranstaltete – in Zusammenarbeit mit dem Land Niederösterreich und der Tageszeitung "Der Standard" – ein Kunstprojekt im öffentlichen Raum, und zwar im Medium Großplakat. Thematischer Anstoß und Hintergrund war das gesellschaftspolitische Motto, das die Europäische Union für 1997 gewählt hat: "Jahr gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit". Sechs ausländische, in Österreich lebende KünstlerInnen bzw. Künstlergruppen gestalteten je ein Plakat. Das Projekt wurde in einer Gesamtstreuung von ca. 800 Stück im gesamten Raum Niederösterreich realisiert. Weil die Veranstalter glaubten, dass für das heutige Österreich der Begriff Rassismus, im engen Sinne einer Rassenideologie, kaum als vorwiegendes gesellschaftliches Phänomen und Problem zu bezeichnen ist, haben sie das Thema des Projekts breiter angelegt und den eingeladenen Künstlern den Titel FREMD als inhaltliche Vorgabe gestellt. Dies erschien unter anderem deswegen sinnvoll, weil ethnisch motivierte Diskriminierung auch bloß als extremer Pol eines sozialen wie individuell-psychischen Komplexes betrachtet werden kann, dem Verhaltensweisen und Einstellungen zugehören, die durchaus Teil der gesellschaftlichen Realität hierzulande sind. Gemeint ist das Gemisch von Motiven, das von harmlosen Ressentiments gegen deutsche Touristen bis zu einzelnen Fällen des blanken Rassismus reicht, von den Witzen über den ausländischen Arbeitskollegen oder der "Überfremdung" als Schlager politischer Wahlkämpfe bis hin zur aktuellen, restriktiven Asylpolitik der Regierung und dem von ihr verantworteten, verschärften Ausländerrecht, die Österreich, "wenn es um Integrationspolitik geht, an die letzte Stelle aller westeuropäischen Staaten befördert haben" (Der Spiegel, 10.3.1997).

Die knappe Bildsprache dieses Plakates schien jener schnellen Kommunikation zugehörig, die im öffentlichen Raum die Piktogramme leisten. John Silvis hatte gezielt einen zweifachen Zusammenhang von Schrift- und Bildebenen konstruiert, und das Plakat verfolgte dementsprechend auch zwei verschiedene Arten der Wahrnehmung, die miteinander verknüpft erst ein kompexes Spiel der Bedeutung eröffneten. Dabei Stand die Betrachtung des Sujets als Ganzes und die Wahrnehmung jedes einzelnen, für sich stehenden Emblems einander gegenüber. Einerseits waren die Bildgegenstände mit Bedacht voneinander getrennt und unterschiedlich farbig hinterlegt, andererseits erschienen die einzelnen Worte, die jedem der Dinge zugeordnet waren,zusammengelesen als ein verstümmelter Satz: "... kenne ich nicht ..." Die Fokussierung allein auf diesen Satz wäre die werbemäßig simple (Slogan und Bild), jene scharfe Separierung der Bildmotive, vor allem aber auch der einzelnen Worte, legten die Suche nach einer anderen Beziehung von Wort und Gegenstand nahe. Betrachtete man die Felder einzeln, fiel zuerst der gelb-schwarz dominierte Mittelteil ins Auge: eine flach ausgestreckte Hand beherrschte die Bildfläche. Darunter war in kapitalen Lettern das Wort ICH gedruckt. Das Ich und die Hand, das kombinierte sich über das Greifen hin zum Machen und Tun - zum Handeln, zum handelnden Ich. Das linke Bild-Text-Feld zeigte eine Tischgabel, mit dem Wort KENNE verknüpft. Die Gabel, das Werkzeug und das Kennen, Wissen gehen ebenfalls zusammen als Formen des Einverleibens und des Sich-Zurechtstellens. Und beides passte zum Ich und zur Hand. Rechts war eine gegensätzliche Vorgangsweise gewählt, denn der gezeigte Gegenstand schien uneindeutig: sahen wir eine stehende Klappleiter, waren Eßstäbchen abgebildet? Was immer man imaginierte, in der Wahrnehmung dieses Feldes dominierte allein das Wort NICHT, die Negation. Hier aber blieb die Frage nach dem Objekt der Negation. Was wurde verneint - dieses Ding, was immer es war, oder eine geheime Bedeutung der drei Bildmotive, oder wiederholt der knappe Satz nur unser Unvermögen, den fraglichen Gegenstand zu identifizieren? Der Betrachter wurde angehalten, das Plakat erneut als Ganzes zu erfassen, das Getrennte wieder zusammen zu sehen und zu lesen. Silvis hatte eine rebusartige Struktur konstruiert, die uns in verschiedene Auslegungen verstrickte, aber letztlich unaufgelöst blieb. So nahm diese Arbeit das Projektthema als Spiel in sein eigenes Kompositionsschema auf und schloß es gleichzeitig ein in eine Sprache, die sowohl der Werbung wie auch der Kunst eigen ist.