Nicole Six und Paul Petritsch, Feuerstelle Ortszentrum Klein-Meiseldorf © Bildrecht 2020
Nicole Six und Paul Petritsch, Feuerstelle Ortszentrum Klein-Meiseldorf © Bildrecht 2020
Nicole Six und Paul Petritsch, Feuerstelle Ortszentrum Klein-Meiseldorf © Bildrecht 2020
Nicole Six und Paul Petritsch, Feuerstelle Ortszentrum Klein-Meiseldorf © Bildrecht 2020
Nicole Six und Paul Petritsch, Feuerstelle Ortszentrum Klein-Meiseldorf © Bildrecht 2020
Nicole Six und Paul Petritsch, Feuerstelle Ortszentrum Klein-Meiseldorf © Bildrecht 2020
Nicole Six und Paul Petritsch, Feuerstelle Ortszentrum Klein-Meiseldorf © Bildrecht 2020
Nicole Six und Paul Petritsch, Feuerstelle Ortszentrum Klein-Meiseldorf © Bildrecht 2020
© Nicole Six & Paul Petritsch, Feuerstelle, Klein-Meiseldorf, 2020
© Nicole Six & Paul Petritsch, Feuerstelle, Klein-Meiseldorf, 2020
 

six nicole & petritsch paul


<

feuerstelle



Wasser holen oder einfach herumsitzen / Parkplatz und Wasserbecken / Getränke und Füße kühlen / Grillplatz und Dorffest / Treffpunkt für Jugendliche neben dem Jugendzentrum / gemeinsames Maibaumaufstellen / den Jahresablauf zelebrieren – Osterfeuer und Sonnwendfeier / die Windrichtung im Blick haben /das Größenverhältnis von Erde und Mond zeigen / nach Norden, Osten, Süden und Westen sehen / sich an die Geschichte der Gegend – an das Eggenburger Meer erinnern

Das Wasser plätschert, die Sitzblöcke liegen parat: Nimm die Streichhölzer fürs Lagerfeuer mit!

Der Dorfplatz ist ein Sinnbild für einen sozialen und kommunikativen Raum, für die dörfliche Gemeinschaft und ein geselliges Zusammentreffen. Belebte, lebendige Plätze mit spielenden Kindern, Menschen, die in Cafés oder unter schattigen Bäumen sitzen, sind allerdings meist Orte, die wir aus südlichen Ländern kennen. In unseren Breitengraden wird der Dorfplatz in der Realität oft nur noch als ein Restraum im ländlichen Gefüge behandelt: vollgestellt mit Autos, die nur für die Dorffeste oder den Wochenmarkt den Platz räumen müssen.

Klein-Meiseldorf hatte bis vor Kurzem weder einen vollgestellten noch einen belebten Dorfplatz – das Waldviertler Straßen-Angerdorf hatte nichts dergleichen. Es hatte auch seit Jahren kein Geschäft mehr, kein Café, keinen Veranstaltungsort, keinen Raum für die Jugend, keine Post. Aber: Klein-Meiseldorf ist eine außerordentlich engagierte Gemeinde mit viel Ausdauer. In einem mehrjährigen begleiteten Prozess arbeiteten die BewohnerInnen gemeinsam ihre Notwendigkeiten und Wünsche aus. Es sollte ein Zentrum für die Gemeinschaft her, ein Veranstaltungsraum, ein Jugendzentrum, ein Nahversorger und ein kleines Café sowie ein öffentlicher Platz für vielfältige Nutzungsmöglichkeiten. Bevor dieses Zentrum Form annehmen konnte, musste zumindest ein altes Gebäude abgetragen und das Bodenniveau erhöht werden – mit viel Schweiß, Muskelkraft und Zeit, zum Großteil durch das Engagement der ca. 80 Mitglieder des Dorferneuerungsvereines der Gemeinde.

Nun ist das neue Ortszentrum fertiggestellt. Es ist ein Ensemble aus Gegensätzen: Glasfassaden, Holz, frischer Verputz gegenüber sonnengegerbten Gemäuern, glänzendes Fotovoltaik-Dach und Ziegeldächer, eine Stromtankstelle, dazwischen eine freie Fläche. Auf der einen Seite hat der Nahversorger mit integriertem Café geöffnet, im Souterrain befindet sich der Jungendraum. Auf der anderen Seite kann das Veranstaltungszentrum bespielt werden, das ebenfalls durch viel Eigenleistung erbaut wurde. Im hinteren Teil des neu entstandenen Platzes liegen wuchtige Holzbalken und Betonelemente kreuz und quer, ein Brunnen plätschert. Der Brunnen ist so groß wie ein Parkplatz – einer konnte der Gemeinde entlockt werden und steht nun der Allgemeinheit zum Spielen und Erfrischen zur Verfügung.

Der Platz wird durch die Gestaltungselemente des Künstlerduos Nicole Six und Paul Petritsch definiert. Ihr Entwurf ging aus einem von Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich geladenen Wettbewerb hervor. Six und Petritsch haben einen Möglichkeitsraum entwickelt und eine Struktur für einen sozialen Ort. Die Platzgestaltung selbst beruht im Wesentlichen auf drei Elementen und ist verwoben mit mehreren darunterliegenden Erzählungen über die Menschheit und ihr Verhältnis zur Welt. Die Gestaltungselemente sind Werkzeuge für eine gemeinschaftliche Platznutzung: eine Feuerstelle auf geschliffenem Beton, der parkplatzgroße Brunnen aus Lärchenholz sowie das gestreute „Mobiliar“ aus satten Eichenbalken und Betonfertigteilen. Die beweglichen Elemente sind Spielzeuge für Traktoren und Gabelstapler: Sie können wie übergroße Mikado-Stäbe gestapelt werden und von der Dorfgemeinschaft zukünftig immer wieder nach ihren Bedürfnissen umgestalten und neu geordnet werden: als Sitzbänke, als Tribüne, als Tresen, als Abgrenzung.

Drei vertikale Säulen aus Beton ragen auf, in einer Ecke finden sich als Steine getarnte Ladestellen für Mobiltelefone oder Laptops in Familie-Feuerstein-Optik. Dazwischen liegen Gesteinstrümmer aus dem örtlichen Steinbruch sowie aus der historischen Sandgrube am Kühnring, wo die Skelette einer Herde von Seekühen gefunden wurde, die vor ca. 20 Millionen Jahren an der Küste des tropischen Eggenburger Meeres lebten. Es ist eine Schichtung bzw. ein Nebeneinanderstellen von Objekten und Verweisen und dadurch Bewusstmachen von vielfältigen Zeitebenen.

Die Feuerstelle ist das zentrale Element der Gestaltungsidee. Ein im Asphalt eingelassener heller Betonkreis ist ein Bild für die Erde, darauf liegt wie ein Schatten der Mond, markiert durch einen geschliffenen Kreis. Dieser ist auch die Stelle für das Lagerfeuer. Licht und Schatten, Feuer und Nacht, eine Sehnsucht: Am Lagerfeuer sitzen, ins Feuer starren, Würstel am Ast grillen, den Tag verlängern, alleine oder in geselliger Runde. Das Feuer ist in unserer Gesellschaft fast unsichtbar geworden. Der Herd hat die Feuerstelle ersetzt, Wärme kommt meist aus der Zentralheizung, selbst bei den Pelletheizungen ist das Feuer in den Maschinenkessel verbannt. Und trotzdem gibt es diese Sehnsucht nach dem Archaischen, nach der Romantik des Lagerfeuers. Six und Petritsch holen etwas in die Mitte des Ortes, was sonst außerhalb, an den umliegenden Teichen passiert: Dort gibt es verkohlte Steine, in Kreisen als Feuerstelle angelegt, von Jugendlichen vielleicht, die sich nächtens treffen, um beisammen zu sein.
Wasser und Feuer, zwei Gegensätze und Lebenselemente: Auf dem Dorfplatz kommen diese zusammen. Der Brunnen aus Lärchenholz ist tief wie eine Bierkiste, groß wie ein Auto und mobil: Auch das Becken lässt sich verstellen. Brunnen sind heute ein Kulturgut. Früher waren sie lebensnotwendig, oft der einzige Frischwasseranschluss im Dorf. Sie waren aber auch Kommunikationsorte, Orte, an denen man sich trifft. Auch der Brunnen in Klein-Meiseldorf lädt zu Treffen ein. Er ist umrandet von einer Bank, die zum Sitzen einlädt, über die man ins Becken hineinsteigen kann, um die Füße zu kühlen. Kaltes Wasser: an heißen Tagen die Arme eintauchen, die Kinder ungehemmt pritscheln lassen, Boote schwimmen lassen.

Das Dorf ist das Zentrum der Welt, es spiegelt im Kleinen das Große. Deswegen fragt die Gestaltung von Six und Petritsch auch danach, wer wir sind, was vor uns hier war, wie sich der Mensch verortet – in der Welt, in der Zeit. Zwei weitere, kleinere Betonkreise sind Andeutungen anderer Planetensysteme. In die „Erde“ eingraviert ist die Datumsgrenze, die sich nach Süden und Norden ausrichtet, ein menschliches Prinzip der globalen Orientierung. Der gesamte Platz ist ein beiläufiges erzählerisches System aus Himmelsrichtungen, Zeit und Vergänglichkeit. Beton, ein zeitgenössisches Material der Bauindustrie, neben dem urzeitlichen Material Granit aus der Region. Die Gesteine aus der Region weisen auf eine hundert Millionen Jahre alte Entwicklungsgeschichte hin, sie prägen die Landschaft. Beton und Granit sind begehrte Produkte der globalisierten Welt – nur dass Letzterer mittlerweile woanders abgebaut wird. Es ist eine Zusammenballung von Verweisen auf unterschiedliche Zeitebenen und -ordnungen und auf unser Verhältnis zur Welt: auf die Urzeit, das Eggenburger Meer, die Globalisierung, die Zeitrechnung, Tag und Nacht bzw. heute und gestern, Handwerk und industrielle Fertigung, Solarstrom und Feuer. Eine lose Assoziationskette, die auf existenziellen Fragen beruht, über die sich am Feuer gut nachdenken ließe – von denen man sich aber auch nicht tangieren lassen muss, wenn man mit dem Fahrrad oder den Rollerskates über den Platz düst, um im Hier und Jetzt zu sein.

Nicole Six (*1971) und Paul Petritsch (*1968) realisieren seit 1997 gemeinsam Filme, Fotografien, Displays, Künstlerbücher sowie orts- und kontextspezifische Installationen und Projekte im öffentlichen Raum.

Mitarbeit: Florian Hofer