© Flaka Haliti, Manufactured for the purpose of fainting (after screaming), Grafenegg, 2020, Foto: Joanna Pianka
© Flaka Haliti, Manufactured for the purpose of fainting (after screaming), Grafenegg, 2020, Foto: Joanna Pianka
© Flaka Haliti, Manufactured for the purpose of fainting (after screaming), Grafenegg, 2020, Foto: Joanna Pianka
© Flaka Haliti, Manufactured for the purpose of fainting (after screaming), Grafenegg, 2020, Foto: Joanna Pianka
© Flaka Haliti, Manufactured for the purpose of fainting (after screaming), Grafenegg, 2020, Foto: Joanna Pianka
© Flaka Haliti, Manufactured for the purpose of fainting (after screaming), Grafenegg, 2020, Foto: Joanna Pianka
© Flaka Haliti, Manufactured for the purpose of fainting (after screaming), Grafenegg, 2020, Foto: Joanna Pianka
© Flaka Haliti, Manufactured for the purpose of fainting (after screaming), Grafenegg, 2020, Foto: Joanna Pianka
 

flaka haliti


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manufactured for the purpose of fainting (after screaming)



Manufactured for the Purpose of Fainting (after Screaming)
Eine Skulptur im Schlosspark von Grafenegg von Flaka Haliti


Es waren zumeist weibliche Körper, die diese Geschichte erzählten und seither viele Male weitergaben. Sie erzählen sie immer wieder aufs Neue, erfinden wundersame Details – wie den „globus hystericus“ zum Beispiel, mit dem die arme gefangene Stimme um Entlassung fleht. Und sie verkünden ihre Geschichten nicht mit Worten, sondern mit Körperbildern und physischen Zeichen.1


Flaka Haliti hat für ihre Skulptur den perfekten Ort gefunden und der Ort seine perfekte Skulptur: Ihr Sitzmöbel aus weißem Marmor steht in einem romantisch-englischen Park mit einem Schloss, das im 19. Jahrhundert im neugotischen Tudorstil umgebaut wurde und dessen Bausubstanz bis ins Mittelalter zurückreicht. In der Barockzeit wurde in dem Park Theater gespielt, und seit 2007 finden in dem damals errichteten Wolkenturm, einem architektonisch-skulptural beeindruckenden Freiluftpavillon2, Musikveranstaltungen statt. Grafenegg ist ein theatralisch-performativer Ort, durchquert von Geschichte und Geschichten, die hier in der Natur, in der Architektur, in der Kunst und in der Musik ihre vielfältigen und ständigen Inszenierungen erleben.

Mit Manufactured for the Purpose of Fainting (after Screaming) zitiert Flaka Haliti ein notorisches Objekt aus dem Mobilienfundus des 19. Jahrhunderts, die Chaiselongue, die (allerdings erst nachträglich) als „Fainting Couch“3 mythisiert wurde und deren analytischen Gegenpol ab dem Ende desselben Jahrhunderts ein nicht weniger mythisiertes Liegemöbel bildet: die Couch in Sigmund Freuds Arbeitszimmer.4 Die „Fainting Couch“ bezieht sich auf die angeblich hysterischen Ohnmachtsanfälle von Frauen, die – „nach einem Aufschrei“ – auf diesem Zwischending von Sessel und Bett niedersinken konnten. Die Hysterie war damals aber mehr als eine Modeerscheinung bei den besser gestellten Frauen: Sie wurde in diskriminierender Weise zur weiblichen Jahrhundertkrankheit hochstilisiert. Im Rückblick erscheint sie als (pathologisiertes) Ausdrucksmedium einer kollektiven Erfahrung der Moderne, eine Folge der allgemeinen Rationalisierungs- und Technisierungsprozesse, was nicht zuletzt auch mit der Aufrüstung der Bildmedien zu tun hatte. Die Patientinnen J.-M. Charcots, der sich selbst als „Erfinder der Hysterie“ bezeichnete, wurden in einem performativen Setting der Kamera vorgeführt, in dessen Phantasma jedoch beide Seiten mit eingeschlossen waren – die „Techniker“ eines solchen männlichen Blickdispositivs nicht weniger als die in ihren Posen, den „attitudes passionelles“ (Charcot), systematisch abfotografierten Frauen.5 Es war dann Sigmund Freud, der die komplexe Geschichte der Hysterikerin (und des Hysterikers) zum Sprechen brachte, um die Ursachen ihrer körperlichen Symptome aufzuspüren.
Flaka Haliti holt die Debatte ins Heute und fragt mit ironischem Unterton: „Waren es das Korsett, das Arsen oder Manieriertheit – damals? Oder der Kater, die Konfusion und der Stress – heute? Warum bin ich wirklich zuletzt in Ohnmacht gefallen?“6 Mit der Wahl des Materials für ihre „Ohnmachts-Couch“ bringt Haliti dann noch einen weiteren, nachträglich entzauberten Mythos ins Spiel: Der weiße Marmor symbolisierte für den Klassizismus des 18. und frühen 19. Jahrhunderts das „Edle“ und „Reine“ der Antike schlechthin und repräsentiert hier gewissermaßen auch eine subtile Gegenfantasie zu der in der bürgerlichen Vorstellung „verworfenen“ Hysterikerin. Mit dem subversiven Witz, den sie auch im Titel ankündigt – „Fabriziert mit der Absicht, in Ohnmacht zu fallen (nach einem Schrei)“ –, hat Haliti auch ihre Skulptur gestaltet. Die „Fainting Couch“ ist ein hybrides Gebilde zwischen Möbelstück und menschlichem Körper, zwischen scheinbar weicher Polsterung und hartem Stein, zwischen animistischem Flair und in Marmor erstarrter Pose, die „gefangene“ Stimme miteingeschlossen. Haliti gelingt es, genau jenes Moment zu erfassen, das sowohl mit der Fabrikation des Hysterie-Phantasmas zu tun hat als auch mit der erotischen Verführung, die ihr angeheftet wurde. Der Illusionismus, den sie mit ihrer Skulptur in Gang setzt, betrifft sowohl das Objekt als Blickfang, das von der Ferne wie ein seltsames Tier aus einem Zaubergarten wirkt, als auch seine materiell-haptische Beschaffenheit, seine Eleganz der Form mit der fast fetischistisch anmutenden glänzend-glatten Oberfläche. Die „Fainting Couch“ ist nicht dafür gedacht, dass man darauf in Ohnmacht fällt, aber sie eignet sich bestens zum bequemen Ruhen; man kann auf ihr philosophieren, wie das auf einem Vorläufermöbel des Sofas in der Antike gemacht wurde, worauf Flaka Haliti auch Bezug nimmt.7 Eines ist Manufactured for the Purpose of Fainting (after Screaming) mit Sicherheit aber auch: eine Attraktion für die allgegenwärtigen Kameras, mit oder ohne posierende Akteurinnen und Akteure.

Silvia Eiblmayr



Anmerkungen
1 Christina von Braun, „Die Stimme der Diva“; in: Silvia Eiblmayr, Dirk Snauwaert, Ulrich Wilmes, Matthias Winzen (Hg.), Die verletzte Diva. Hysterie, Körper, Technik in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Oktagon, Köln 2000, S. 97.
2 2007 entstand im Park östlich des Schlosses der Wolkenturm, eine Open-Air-Bühne mit 1700 Sitz- und 300 Rasenplätzen. Der Freiluftpavillon stammt von the next ENTERprise (Marie-Therese Harnoncourt, Ernst J. Fuchs) und den Landschaftsarchitekten Land in Sicht. Der skulpturhafte Bau greift das Element des Amphitheaters als Garteninventar der Art des Barockgartens auf und zitiert formale Elemente des Altbestandes im Park. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Grafenegg (zuletzt besucht am 26. 10. 2020).
3 https://en.wikipedia.org/wiki/Fainting_couch (zuletzt besucht am 26.10.2020)
4 Sigmund Freud (1856–1939) erhielt die Couch um 1890 als Geschenk von einer Patientin. Als Freud 1938 vor den Nationalsozialisten nach London flüchtete, war die Couch ein Teil des Inventars, das er mitnehmen konnte. Sie befindet sich im Freud Museum in London. Vgl. https://www.freud.org.uk/collections/objects/4380/ (zuletzt besucht am 26. 10. 2020)
5 Vgl. Georges Didi-Huberman, Invention de l’hystérie. Charcot et l’iconographie photographique de la Salpêtrière, Editions Macula, Paris 1982.
6 Flaka Haliti, Manufactured for the Purpose of Fainting (after Screaming), Text zum Projekt für Grafenegg, 2019, unveröffentlicht.
7 ibid.